«Wunschkonzert» eine eigenartige, eine gute Sendung

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Vor Jahren sah man Maura Morales am Staatstheater Darmstadt die weiblichen Hauptrollen tanzen Mit Gestüm warf sie das Liebesdrängen und die Unglücke dieser Frauen auf Geheiß von Mei-Hong Lin in den dekorierten Raum. Doch längst hat sie sich selbständig gemacht und tanzt hier und dort, auch draußen und manchmal eigenes. Die Kubanerin, die auf der Bühne ein permanenter weltergreifender Schrei sein kann, hat sich in ihrem neuen Solo geradezu den Mund verboten. Das macht ihr «Wunschkonzert» so berückend, das sie im Bonner Theater im Ballsaal herausbrachte: Umso stärker wirkt das Stummsein, um das es in dem Stück geht: als eine leidvolle Selbstbezähmung.

Der Dramatiker Franz-Xaver Kroetz meinte das in seinem «Wunschkonzert» von 1971 für eine bieder ordentliche und daheim in ihrem Untermietzimmer sprachlose Frau auch politisch. Sollten doch bitte die Angepassten, Angestellten, Schweigenden sich nicht selbst verletzen und umbringen, sondern Revolution machen. Das Stück taucht bis heute ab und zu auf Schauspielbühnen auf, zuletzt, mit großem Filmaufwand, in Köln. Maura Morales lässt die Geschichte klein, privat und dreht die Einsamkeitsschraube, nicht ohne Witz, in Richtung sinnlich-sexueller Sehnsucht.

Das Bühnenbild ist Fiktion: in simplen schwarzen Linien hat Claudio Capellini eine Einzimmerwohnung mit Küchenzeile, Regalen, Sofa, Mülleimer und Flauschteppich auf weiße Pappe gezeichnet, die Boden und drei Wände bildet. Farblos ist auch die Frau. Strenges schwarzes Kleid mit breitem Kragen, Dutt. Es ruckelt in ihren Ellbogen und Knien, als fuhrwerke da eine Maschine. Die Wohnung kennt ihre Gewohnheiten und macht Tassenklirren, Kaffeemaschinengurgeln, Streichholzanzünden, Türknarren, Wasserhahnfließen, Klospülung hörbar, auch wenn die Frau sichtbar gerade woanders ist. Da fällt etwas auseinander. Später raucht sie, wischt die Spüle, klaubt eine Fluse auf, blättert in einem Heft. Sie wiederholt das wie ein leerlaufender Motor, immer schneller, wodurch die Pantomime, das Realitäts-Fake, einen irren Dreh bekommt.

Die Frau dreht am Knopf des gezeichneten Radios. «Radio Dauerwelle» ertönt. Sie lächelt. «Texte mit Niveau vom Küssen und Vögeln!». Ihr Lächeln erstirbt, sie greift den Apfel, den sie sich vorstellt, reibt ihn, beißt hinein, kaut, denkt an etwas, während die Stimme aus dem Gerät eine «Lustexplosion» erwähnt. Den Sound hat der Künstler Michio eingerichtet. Bei Kroetz war es eine reale Musikwunschsendung mit Liebesgrüßen. Die Frau dreht einen unsichtbaren Ring am Finger, das Geplapper vergeht, ihre Füße und Finger tappen, suchen etwas im Regal, im Teppich, am Tisch, vielleicht die eigene Haut als Gefühl. Die Füße finden sich, die Hände greifen auch hinunter. In der Geräuschwelt zieht und knautscht jemand an einem Gummihandschuh. Später, mit geöffneten Haaren und im dünnen grünen Unterkleid, greift ihre Hand ihr wie ein vorgestellter Mann zwischen die Beine, an den Po, zieht ihr die Zunge heraus, die am Türrahmen landet und leckt. Diese Art Wunschkonzert ist auch nur eine Abendgewohnheit, die nicht happy macht und die Frau aus Erstarrung und Zwanghaftigkeit lösen kann. Am Ende findet sie etwas, zögert, folgt der kleinen Gier, will lachen, aber kann es nicht.

Maura Morales macht hier keine leichte Unterhaltung, keine Schnulze in Moll. Sondern die Entfremdungskniffe, das Künstliche von Raum und Bewegung auf der Suche nach etwas wie Realität (oder auf der Flucht vor ihr), machen aus ihrem «Wunschkonzert» eine eigenartige, eine gute Sendung.

Melanie Suchy (Tanz/Kultiversum, Okt. 2012)

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